
Die Idee vom eigenen Original begegnete mir vor einigen Jahren in meiner Coaching Ausbildung zum ersten mal so richtig bewusst. Ich mochte den Klang, der für mich irgendwie beinhaltete, dass ich mit meinem eigenen Original ganz rund, ganz vollständig, ganz ich sein kann. Das klingt nach einer Menge Entspannung in einer Welt voll von Erwartungen und Rollenvorgaben. Und nach weniger Akzeptanz des Drucks von außen. Doch was bedeutet das "eigene Original" eigentlich? Ist es das gleiche, wie "authentisch sein"? Und was ist daran so wertvoll? Und wie findet man heraus, was das eigene Original ist? Meine Sichtweise und Ideen dazu liest Du in diesem Artikel.
Wozu brauchen wir Originalität?
Authentisch zu sein bedeutet, ungekünstelt sein, echt zu sein, entspannt zu sein. Ein authentischer Mensch steht zu seinen Stärken und Schwächen, lese ich im Internet. Das gefällt mir. Wir mögen Menschen, die zu sich stehen. Warum ist das so? Was macht authentische Menschen anziehend oder leichter im Umgang? Wenn jemand authentisch ist, ermöglicht er*sie uns, auch zu uns selbst zu stehen. Die Entspannung, die ein Mensch mit sich selbst empfindet, strahlt er*sie aus. Wenn es für mich ok ist, dass ich nicht fehlerfrei bin, dann merkt das mein Gegenüber. Wenn ich in einer Situation zu erkennen gebe, dass ich verletzbar bin, dass ich "Fehler" habe und um diese weiß und ich mich dennoch nicht dafür permanent "auf den Kopf haue", dann kann sich mein Gegenüber mit seinen eigenen Verletzlichkeiten entspannen. Im besten Fall entsteht eine Stimmung von "Ich bin ok. Du bist ok." Und das brauchen wir, um mit anderen auf Augenhöhe zu agieren, um unsere Schutzschilde herunter zu lassen, um tiefe, bedeutungsvolle Begegnungen zu haben.
Manchmal höre ich an diesem Punkt Einwände, dass man ja - beispielsweise im Berufsleben - diese Art von Begegnung gar nicht haben will. Dass der Raum dafür gar nicht gegeben ist. Zum ersten Satz möchte ich fragen: Wirklich? Und zum zweiten: Ja, das kann sein. Und möchtest Du Teil der Lösung sein? Denn natürlich braucht es jemanden, der damit beginnt, der so selbstsicher ist, dass er*sie seine eigene Verletzlichkeit zeigen kann.
Um den Nutzen von Authentizität und Originalität zu wissen, ist die eine Sache. Es zu leben eine ganz andere. Vermutlich ist es eine lebenslange Reise zu sich selbst. Es ist gut, die eigenen Ängste, die sogenannte dunklen Seite und die eigenen Trigger* zu kennen.
Für mich hat die Arbeit am eigenen Original (Coaching, Selbsterfahrung, Therapie, etc.) vor allem einen großen Nutzen: Ich kann Energie, die ich zuvor dafür verwendet habe, jemand zu sein, der ich nicht bin, Pläne zu verfolgen, die nicht meine sind, oder Eindruck auf andere Leute zu machen, nun dafür verwenden, ganz ich zu sein und den Impulsen zu folgen, denen ich wirklich folgen möchte. Das bedeutet für mich, dass ich mich hundertprozentig lebendig fühlen kann. Voller Energie und ganz im Hier und Jetzt. Und ein weiteres Geschenk, welches damit einhergeht ist, dass, wenn es mir gelingt mein Original zu leben, ich anderen ermöglichen kann, das gleiche für sich zu tun.
Was das eigene Original nicht ist
Vielleicht ist Dir schon mal jemand begegnet der Dir seine Verletzlichkeiten etwas zu plakativ aufgedrängt hat. Vielleicht hast Du einen Text gelesen oder ein Video angeschaut, in dem jemand gefühlt zu viel preisgegeben hat, zum Beispiel ein noch nicht verarbeitetes Trauma oder einen schmerzhaften Glaubenssatz. Wir merken das sehr genau, da unser Körper das Unbehagen des Gegenübers sofort mitbekommt, selbst wenn es diesem und vielleicht auch uns gar nicht bewusst ist. Daran merkt man, dass es eben nicht ausreicht, diese Verletzlichkeiten heraus zu schreien. Auch wenn ich im Prinzip begrüße, dass Menschen sich authentisch darstellen wollen und sich mit ihren Verletzbarkeiten zeigen, ist es für eine gesunde Begegnung - auch mit sich selbst - wichtig, dass mein Gegenüber keine Selbstverletzung mit seiner Zur-Schau-Stellung betreibt, sondern authentisch etwas teilt. Das Überschreiten der eigenen Grenzen ist keine Authentizität. Das eigene Original hat keinen Platz, wenn die eigenen Grenzen nicht erkannt und beachtet werden.
Auch ein "Ich bin halt so." ist keine Aussage von einem gesunden Original. Wenn man etwas genauer hinschaut, liest man sehr deutlich die Verteidigung der eigenen Person heraus. Für mich ist der Spruch "Wer sich verteidigt, klagt sich an." eine gute Möglichkeit, zu überprüfen, ob ich wirklich ok bin mit dem, was ich tue und sage. Sage ich beispielsweise: "Ich stehe erst um 10:00 Uhr auf." und füge dann hinzu: "Aber dafür arbeite ich auch abends länger." fällt auf, dass ich möglicherweise einen Glaubenssatz habe, dass es nicht ok ist, aufzustehen, wann ich aufstehen will. Ich glaube, dass mein "späteres" Aufstehen für den anderen (also eigentlich für mich, ich projiziere es nur auf den anderen) ein "faul sein" beinhaltet. Diesen Glaubenssatz gilt es aufzulösen. Wann immer ich einen Widerstand spüre, bin ich noch nicht angekommen zu diesem Thema. Und das ist natürlich ok. Und auch wunderbar, da ich ein neues Feld zur Weiterentwicklung entdeckt habe. Mein Ziel kann sein, dass ich zukünftig sage: Ich stehe um 10:00 Uhr auf, da ich mich dann erfahrungsgemäß am energiereichsten und entspanntesten fühle. (Das kann natürlich für den einen oder die andere auch nicht die eigene Wahrheit sein. Da gilt es genau zu schauen, womit ich mich gerne selbst täusche. Aus bester Intention heraus, versteht sich. Denn alles was wir tun, ist eine Lösung für ein Problem.)
Der Unterschied zwischen Authentizität und dem eigenen Original
Für mich besteht der Unterschied zwischen Authentizität und dem eigenen Original vor allem in der Tiefe der Begegnung mit sich selbst. Wenn ich authentisch bin, fühle ich meine Gefühle und weiß um meine sogenannten "Schwächen und Stärken" und stehe selbstbewusst zu diesen. Es bedeutet nicht zwangsläufig, dass mich der Ursprung meiner Gefühle interessiert oder dass ich nicht doch Erwartungen von außen zu erfüllen versuche, die nicht meinen eigenen Werten entsprechen. Wenn ich mein Original lebe, bin ich mir über meine Konditionierung, meine Glaubenssätze und Ähnliches bewusst und lasse mich nicht länger von meiner eigenen Wahrheit ablenken. Ich lerne zu unterscheiden, was eine Erwartung von außen ist und was wirklich wichtig für mich ist. Weil es mich lebendig werden lässt, wenn ich meine eigene Wahrheit lebe. Diese Erkenntnisse sind essentiell wichtig um zu wissen, was mein Lebenssinn, meine Berufung, mein "Purpose" ist.
"Don't ask, what you can do for the world. Ask what makes you come alive."
Vielleicht ist authentisch sein, der erste Schritt zum Original. Authentisch sein kann für Menschen, die in ihrer Kindheit so etwas wie bedingungslose Liebe - also Liebe, die nicht an Leistung geknüpft ist - erfahren haben leichter sein, als für andere. Beim authentisch sein geht es vor allem um eine Haltung von "Ich bin gut genug." oder "Ich bin erwünscht so wie ich bin." Es geht also um eine Haltung der eigenen Wertschätzung, Akzeptanz und Selbstliebe. Menschen, die diese Erfahrung nicht machen konnten, finden sich häufiger darin wieder, es anderen Recht machen zu wollen, da die nicht vorhandenen erste Bestätigung im Leben sich immer wieder wie ein schwarzes Loch auftut. Manchmal geht das auch mit der Verwirrung einher, welche Gefühle, Bedürfnisse, Ziele nun die eigenen sind und welche zu den Menschen gehören, von denen wir uns die Bestätigung wünschen.
Wie find ich mein eigenes Original?
Ich gehe davon aus, dass wir als Originale geboren werden. In unseren ersten Lebensjahren passen wir uns unserem Umfeld an - je nachdem, was in unserer ersten Familie* (und Gesellschaft) gefordert wird und erlaubt ist. Welche Regeln und Werte gelten? Was ist ok? Was ist tabu? Wenn es zum Beispiel in meiner Familie als "spießig" gilt, ordentlich zu sein (und spießig negativ bewertet wird), und ich ein akzeptierter Teil der Familie sein will, dann vermeide ich es, ordentlich zu sein. Manchmal geht das so weit, dass wir das unerwünschte Verhalten oder Gefühl (hier das "ordentlich sein") soweit abspalten, dass wir es auch an anderen außerhalb unserer Familie kritisieren und schlecht machen. Manchmal halten wir an diesen un-originalen Werten und Ideen auch noch als Erwachsene fest, wenn diese Verhaltensweise, die einmal sinnvoll war, eigentlich nicht mehr nötig ist. Dies zu erkennen und zu verändern führt zu mehr Energie und Authentizität. Ich muss mich nicht mehr verstellen oder Erwartungen erfüllen, die nicht meine sind. Menschen, die sich zum Beispiel wegen einer nicht heteronormen Identität geoutet haben, haben einen großen Schritt zum Thema Identität bereits getan und wissen oft mehr über ihr Original als Menschen, die diesen schweren Schritt nicht machen mussten.
Wie stellt man das denn nun an, das authentisch sein und das eigene Original zu leben?
Konditionierungen, Glaubenssätze und Verdrängungen erkennen, kombiniert mit einer großen Portion Geduld und Selbstliebe, ist der Weg zum eigenen Original. Und es gibt viele Möglichkeiten, diese Arbeit zu beginnen.
Die gute Nachricht ist, dass es absolut möglich ist, zu jedem Zeitpunkt im Leben diese Entwicklung zu beginnen. Und es wird wunderbare Früchte tragen. Versprochen.
Diese Arbeit kann durch Coachings, Therapie oder auch eigene Reflexionsarbeit unterstützt werden. Hier einige Themen, die in meiner Arbeit als Coach oft vorkommen und zum eigenen Original führen:
- Die eigenen Grenzen erkennen, sich erlauben selbige zu haben und auch zu verteidigen
- Nicht länger brauchbare, innere Glaubenssätze erkennen und in einen anderen Rahmen setzen
- Die eigene Werte entdecken und sich trauen, sie zu leben
- Familiengeheimnissen und (vererbten) Traumata auf die Spur zu kommen und erste Schritte in Richtung Heilung zu gehen
- Die eigenen Schatten - vermeintlich Negatives - erforschen und mit Liebe zurückerobern
- Selbstakzeptanz & Selbstliebe praktizieren
- Ungesunde Kommunikations-Spiele und Selbstbetrug erkennen und sich davon befreien.
Wenn Du Fragen zu der Arbeit am eigenen Original hast oder Deinem eigenen Original auf die Spur kommen willst, melde Dich gern bei mir (siri@sirisundin.com).
Sonnige Grüße aus dem spätsommerlichen Linköping,
Siri
Worterklärungen:
*Trigger: Trigger sind Auslöser, die Dich ein an eine oft seelische Verwundung aus der Vergangenheit erinnern. Das ausgelöste Gefühl ist also streng genommen ein Gefühl aus der Vergangenheit, an welches durch einen Trigger ausgelöst wird.
*erste Familie: Ich verwende den Begriff "erste Familie", da mir der Begriff "Urfamilie" nicht so gut gefällt. "Erste Familie weist für mich darauf hin, dass nach der ersten Familie auch noch weitere Familien folgen können.
Leseempfehlungen:
Um zu erkennen, wer ich bin und wie ich funktioniere:
Fritz Zehetner: "SIZE Process. Human Performance Guide"
Gute Einsichten wie Verdrängung und Projektion in der ersten Familien funktionieren:
Arno Gruen. "Wider den Gehorsam“
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