Das hätte vermieden werden können.
Lesen Sie, was die Basis ist. Das Davor. Die Grundzutaten sozusagen. Ohne Mehl kein Kuchen.
(Hinweis: Agiles Arbeiten ist eine Haltung, während Scrum, Kanban, die agilen Werte etc. Tools sind, die helfen, diese Haltung umzusetzen. Agilität ist kein Selbstzweck. Agiles Arbeiten kann helfen, blinde Flecken in Unternehmen sichtbar zu machen und damit zu besseren Prozessen, Produkten und zu einem besserem Arbeitsklima führen.)

Agilität in aller Munde.
Wenn ich mich auf Parties „oute“ dass ich als Agile Coach, Scrum Master und agile Organisationsberaterin arbeite, sehe ich meistens schon die ersten verdrehten Augen und hochgezogenen Augenbrauen. Dahinter stecken oft viele ungute Erfahrungen mit etwas, was „Scrum“ oder „Agile“ genannt wurde und vielleicht (oder ganz sicher) am Ziel vorbei geführt hat.
Ich höre dann immer wieder die gleichen Fragen, Aussagen und Argumente gegen die agile Idee, die ich übrigens in Unternehmen genau so von allen Ebenen höre:
„Hast Du schon mal mit einem Unternehmen gearbeitet, bei dem agiles Arbeiten wirklich funktioniert hat?“
2) „Agil, ja klar wollen die da oben das. Bis der Chef übermorgen was anderes sagt.“
3) „Wir arbeiten hybrid“ (meist eine Mischform aus Agilen Methoden und Wasserfall. Erklärung: Es wird so lange agil gearbeitet, bis der Schuh irgendwem (oft GF oder Management) auch nun ein bisschen drückt, dann geht’s wieder zurück zu Wasserfall mit Überstunden, Druck von oben, Meilensteinen und verlangtem „hellseherisches Wissen“.)
4) „Diese vielen Meetings in Scrum nerven. Ich will einfach nur meine Arbeit machen.“
5) „Agile / Scrum funktioniert nur in Start Ups.“
6) „Scrum „by the book“ funktioniert nicht.“
Und so weiter…
Ja, und für all die Frustration gibt es gute Gründe. Und es braucht ganz schön viel Zeit und Energie, all die darin enthaltenen Missverständnisse nach und nach aufzulösen. Das ist oft meine erste Aufgabe, wenn ich in ein neues Unternehmen komme. In diesem Artikel versuche ich ein wenig die Aspekte zu beleuchten, die ich für die grundlegenden Voraussetzungen für den Aufbau von gelungenem Agilem Arbeiten halte.
Doch zuerst klären wir:
WAS ist eigentlich Agiles Arbeiten?
(aus meiner Perspektive und in Stichworten)
Die Kund’innen stehen im Zentrum. Ohne ein Bedürfnis und die stetige Rücksprache mit dem Kunden wird nicht produziert. Und um die Kundin zu verstehen, braucht es Zeit. Und es braucht den Kunden, der nicht eine fiktive Persona sein darf, denn oft sind unsere Projektionen - also unsere Entwicklungen von Personas - sehr subjektiv. Auch hier - wie in meinem Coachingansatz - ist der Kunde kundig, weiß also was er*sie braucht. Und selbstverständlich helfen wir den Kund*innen beim Artikulieren ihrer Bedürfnisse und stehen mit unsere Expertise der Entwicklung von Lösungen zur Verfügung.
Eine Lernkultur, die schnelle Richtungswechsel ermöglicht. Sogenanntes „Scheitern“, um schnellstmöglich zu lernen. Wer keine Fehler machen darf, kann nicht kreativ arbeiten. Sicherheitsabstand führt zu langsamer und ineffizienter Arbeit. Oft führt das Verurteilen von sogenannten „Fehlern“ auch dazu, dass Probleme oder gemachte Fehler gar nicht erst angesprochen werden.
"To live a creative life, we must lose our fear of being wrong."
Verständnis für die menschliche Natur (wie lernen Menschen) und das Bewusstsein, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Rahmenbedingungen brauchen, um gut arbeiten zu können. Und die stellen wir als Management dann unseren Mitarbeitenden zur Verfügung. Hier liegt auch ein Grund dafür, das „Skalierung, Skalierung, Skalierung“ oft am Ziel vorbei führt.
Offene Kommunikation. Was das ist, muss in den meisten Unternehmen erst mal definiert und etabliert werden. Kommunikation ist kompliziert. Oft unterliegen wir dem Irrtum, dass der / die andere doch schon versteht, was wir nur gedacht haben. Manchmal blockieren Tabu-Themen (oder Geheimnisse aus Nachbarabteilungen oder der Chef-Etage) sinnvolle und effektive Arbeit.
Ein Klima in dem ich mich traue, Fragen zu stellen und alle (auch die Chefin) zu kritisieren. Nur so kann gute Arbeit gelingen. Wir stellen Expert*innen ein, damit sie das Richtige tun. Beratende sprechen hier auch von psychologischer Sicherheit.
Alle Köpfe sind gefragt. Wir öffnen uns der Tatsache, dass nicht ein Mensch 20 Jobs besser kann als alle anderen und Arbeiten delegiert. Sondern wir glauben, dass alle etwas besonders gut können. Jede und jeder ist Expert*in in seiner / ihrer Rolle.
Das Bewusstsein: Menschen wollen arbeiten. Sinnstiftend wohlgemerkt. Wenn der Sinn fehlt, fehlt auch die Motivation.
Ein Bekenntnis zu und eine gemeinsame Umsetzung von Werten, die das WIE des Unternehmens ausmachen. Vielleicht sind das die Agilen Werte.
Und ja, man kann dann auch mit agilen Tools (oder frameworks) wie Scrum oder Kanban arbeiten.
Ich definiere agiles Arbeiten als eine offene und transparente Zusammenarbeit aller zum Wohle des Kunden. Warum zum Wohle des Kunden? Naja, als Unternehmen wollen wir neben unserem Purpose / Sinn, dem was wir mit unserer Arbeit verbessern oder lösen wollen, schließlich Geld verdienen, um unsere Leben zu finanzieren. Und das können wir am Besten, wenn wir ein Bedürfnis eines Kunden erfüllen.
Wenn die Kund’innen nicht im Zentrum stehen, arbeiten wir aus meiner Perspektive am Ziel vorbei. Agiles Arbeiten bedeutet, dass wir alles, was nicht gebraucht wird, was nicht Priorität für den Kunden hat, auch nicht gebaut wird. (Hier möchte ich nochmal kurz einschieben, dass es schon Aufgabe des Unternehmens ist, den Kunden zu informieren, was die innovativen Möglichkeiten sind um die Kundenbedürfnisse zu erfüllen, das sie ja ansonsten keine gut informierte Entscheidung treffen können. Allerdings sollten wir uns nicht in unsere Ideen verlieben, sondern gut die Bedürfnisse der Kund*innen im Blick behalten, die sich auch verändern können.)
WARUM sollte/könnte/wollte man Agiles Arbeiten einführen?
Die Gründe für Unternehmen und Unternehmer*innen agiles Arbeiten einzuführen sind zahlreich. Viele versprechen sich schnelleres Arbeiten und dadurch reduzierte Kosten, zufriedenere Kunden, bessere passgenaue Produkte, bessere Kommunikation, na und wenn es dann auch den Mitarbeitenden noch besser geht, wunderbar. Und ja, manches davon kann Agiles Arbeiten - wenn richtig eingesetzt - bewirken.
Gute Gründe für Agiles Arbeiten sind aus meiner Perspektive:
bessere, zielgerichtete und nachhaltigere Produkte erstellen
Weniger „Waste“, also weniger Arbeit, die grundlos / ziellos / doppelt getan wird als auch eine umweltfreundlichere Herangehensweise an Produkte. (Das Richtige tun, anstelle etwas richtig tun.)
Besseres Arbeitsklima für gesündere und zufriedenere Menschen, die in Ihren Jobs bleiben wollen und sich als wertvoller Teil eines großen Ganzen fühlen
…
Agiles Arbeiten (oft mit dem Rahmenwerk Scrum, vielleicht auch direkt skaliert) kommt leider oft als letztes Pflaster auf eine stark blutenden und schon entzündete Unternehmenswunde. Und das in einer Situation, in der es keine Zeit zur Einübung neuer Verhaltens- und Denkweisen gibt. Es besteht oft die Annahme, dass die Anstellung eines Agile Coaches oder Scrum Masters all das schon irgendwie richten wird. Und genau da kommen wir zum ersten Punkt, welche Voraussetzungen es braucht, damit ein Unternehmen agiles Arbeiten einführen kann.
Erste Schritte
Für Unternehmen und Führungskräfte kann es Sinn machen, sich gemeinsam mit einer Agile Coach einen Überblick über die Bedeutung und den Nutzen von agilem Arbeiten sowie über den Ist-Zustand des Unternehmen selbst zu verschaffen, bevor kulturverändernde Maßnahmen eingeführt werden. Damit man auch weiß, was auf einen zukommt und zudem ein besseres Verständnis für die möglichen Entwicklungsprozesse der Mitarbeitenden entsteht.
Selbstverständlich ist der Einstieg zu jedem Zeitpunkt machbar. Je später diese Analyse gemacht wird, um so mehr gibt es möglicher Weise aufzuarbeiten.
Der Vorteil einer externen Berater*in liegt in der neuen, frischen Perspektive und professionellen Fragetechniken. Betriebsblindheit oder ein nicht Ansprechen von heißen Themen „aus Guten Gründen“ fällt bei guten externen Kräften weg.
Die grundlegenden Frage, die vor der Einführung von Agilem Arbeiten geklärt werden sollten sind grob formuliert:
- Was machen wir / was machten wir nicht? (Ziel / Vision Eingrenzung)
- Wer soll / will mitmachen? (Wer ist betroffen / involviert?)
- Wie arbeiten wir zusammen? Wie wollen wir zusammen arbeiten? (Haltung & Arbeitsklima)
- Wie kommen wir dahin? (Was sind die ersten Schritte
(Ich habe übrigens eine detaillierte Checkliste kreiert, die ich gerne auf Anfrage zuschicke. Gerne arbeite ich diese mit Ihnen auch in einem individuellen Coaching durch).
Was viele vergessen, Agilität gedeiht vor allem, wenn alle wirklich verstanden haben, was agiles Arbeiten ist, was es kann und was es nicht kann. Und eben vor allem auch, welchen Raum Führungskräfte und Geschäftsführungen öffnen müssen, damit agiles Arbeiten überhaupt eine Chance hat.
Agile ist ein Team Sport. Und das Team braucht Raum und Kraft zum spielen.
WIE: Voraussetzungen für echtes agiles Arbeiten:
Wenn ich mir etwas wünschen dürfte als Agile Coach, dann wäre es das:
Die Geschäftsführung hat verstanden, was agiles Arbeiten ist und was die Implikationen des bevorstehenden Kulturwandels und vermutlich auch Komplikationen sind, die daraus hervorgehen. Der Anteil der persönlichen Entwicklung jedes Einzelnen (Selbstbewusstsein, Selbstorganisation, Selbstwirksamkeit), der mit dem Einüben von agilem Arbeiten einher geht, ist gewollt und bekannt und es gibt dafür die notwendige Zeit und Ressourcen.
Es gibt ein starkes „Warum“der Geschäftsführung, warum agiles Arbeiten (mit welchem Tool / Framework auch immer ) eingeführt werden soll und es ist verstanden, dass es sich um einen Kulturwandel, also die Veränderung der Haltung handelt. Dieses Starke „Warum“ - ein sehr guter Grund - wird gebraucht, um in schwierigen Zeiten nicht in alte Muster zurück zu fallen.
Die Geschäftsführenden und das Mittlere Management wollen mitmachen, auch wenn sich dadurch ihre Entscheidungs- und Aufgabenbereiche verändern können, weil sie die Vorteile agilen Arbeitens für das Unternehmen, den Kunden und die Mitarbeitenden sehen.
Das mittlere Management versteht Scrum und Agiles Arbeiten und fühlt sich nicht in Gefahr in einem „plötzlich“ agilen Unternehmen nicht mehr gebraucht zu werden, sondern weiß um seine*ihre Stärken und was ein „danach“ für sie sein könnte.
Die Menschen im Unternehmen sind in der Verfassung und Position, etwas selbstorganisiert ausprobieren zu können. Das bedeutet, dass Rollen, Ziele und Entscheidungen in Frage gestellt werden können und dass dazu ermutigt wird. Da alle Köpfe werden genutzt.
Neben einem bekannten und klaren WAS des Unternehmens, welches sich in konkrete Arbeit der Teams übersetzen lässt, wollen sich alle auf ein gemeinsames WIE committen.
Und als wichtigster Punkt: Abstand von der Idee, dass irgendetwas erst „perfekt“ oder „vollständig“ vorhanden sein muss, bevor wir anfangen.
Also fangen wir an, wo immer ich Sie / Euch / Dich treffe.
Ich freu mich.
Siri
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